Von den Zeremonien
Torsten Thees
Die hohe Kunst der Diplomatie wurde den Amtmännern auf Schloss Ritzebüttel abverlangt, wenn sich eine ‘adelige Herrschaft’ herbeiließ, auf einer Seereise das Amt Ritzebüttel auf der Elbe zu passieren, oder gar auf einer Reise in Ritzebüttel selbst Station zu machen.
Nicht zuletzt aufgrund der stärkeren internationalen Verflechtungen schwoll der Austausch von Diplomaten seit dem 18.Jahrhundert an - so führte z.B. die seit 1714 bestehende Personalunion Kur-Hannovers mit Großbritannien zu einem regen Verkehr zwischen beiden Staaten.
Da Hamburg in dieser Zeit immer mehr zur größten Handelsstadt Europas wuchs und gerade England zum wichtigsten Handelspartner avancierte, konnte es sich die Stadt nicht leisten, das Wohlwollen der ausländischen Potentaten zu verlieren, es mußte ‘Flagge’ zeigen.
Anhand von einem guten Dutzend Fällen aus der Zeit des 18. und beginnenden 19.Jahrhunderts läßt sich ein gewisses Muster erkennen, wie Hamburg - letztlich natürlich der Amtmann in Ritzebüttel - die diplomatischen Verpflichtungen wahrnahm.
Zunächst stellte der Hamburger Senat - häufig nur Gerüchte halber - dem Amtmann eine hochrangige Person in Aussicht, etwa die Vorüberfahrt des Herzogs von Cambridge.
Da ein regelrechter ‘diplomatischer Dienst’ zwischen den Nationen offenbar noch nicht bestand, oder es als unschicklich galt, sich direkt zu erkundigen, stand der Amtmann nun vor dem Problem, die genauen Termine von Ankunft und Abfahrt und die weiteren Absichten des Gastes zu erfahren. Praktisch sofort entwickelte der Amtmann nun einen überaus regen Schriftverkehr mit benachbarten Amtskollegen, mit Freunden in Hamburg oder mit Freunden in den betreffenden Staaten, um die näheren Umstände in Erfahrung zu bringen. Gleichzeitig wurde mit dem Vogt auf Neuwerk, dem Lots-Kommandeur und den Bediensteten des Amtmannes ein kompliziertes Verfahren zur ‘Früherkennung’ erörtert:„...müßte der Voigt vom Neuen Werck 4 Schüsse zwischen einen jeden ½ Minute Zeit thun, wenn die Flotte kommen solte, zum Signal soll ihm dienen, daß die Creuzende Galjote erst einen Schuß thut, um ihn aufmercksam zu machen: dan sol er die Galjote mit einen Schuß antworten, daß er es gehöret. Darauf sol die Galjote ihre Flagge um den Flag Stock winden und die Gösch von den Besans Mast wehen lassen. Das soll das Zeichen sein, daß die Flotte im Gesicht ist oder passirt, dan muß der Voigt die vorgemeldten 4 Schüsse thun, damit sie und uns es zum Signal dient, daß die Flotte komt.“ Anschließend fand die Zeremonie des Salutschießens statt.
Bis zuletzt wusste der Amtmann nicht, ob es den hohen Herrschaften nicht etwa doch einfiel, in der Elbmündung vor Anker zu gehen und ihm einen Besuch abzustatten. So mußte er - für alle Fälle - „Politessen (Höflichkeiten) anbieten“ sowie „Honneurs (Ehren) angedeihen“ lassen, auch musste er „einige Victualien bereithalten“ und „allerlei Erquickungen darreichen“ können. Aus Hamburg kam bisweilen ein Rat: „Guten Madeira bedürfen Sie hauptsächlich.“In der Regel liefen die vom Amtmann erstellten Programme problemlos ab, hin und wieder unterliefen ihm jedoch auch kleine Missgeschicke. Als z.B. der Herzog von Cumberland eines späten Abends mit seinem Schiff in die Elbe einlief und ankerte, ließ es sich der Amtmann nicht nehmen, den Herzog mit einem 20schüssigen Salut zu begrüßen und brachte ihn damit um einen Teil seiner Nachtruhe. Am nächsten Morgen um 4 Uhr in der Frühe lichtete das Schiff den Anker - begleitet von einem erneuten 20schüssigen Salut des Amtmannes....Der Bericht schließt lapidar, dass das Schiff des Herzogs den Salut nicht beantwortet habe.
Bei einer anderen Gelegenheit zog sich 1757 Amtmann Hieronymus Kentzler den Zorn des Hamburger Senates zu. Als Kentzler dem Geheimen Rat von Münchhausen nicht den nötigen (nach Meinung des Rates) Respekt entgegenbrachte, rügte der Senat: „Euer Edler, Vester und Wohlweiser Getreuer wissen selbst, was uns an dieses Herrn Freundschaft gelegen...; und daher wünschen wir in etwaigen künftigen ähnlichen Fällen lieber einen Überfluss von Gefälligkeit.“
Während des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts war der Amtmann in Fragen des Protokolls und des Zeremoniells quasi auf sich allein gestellt; Weisungen wurden ihm von Seiten des Senats lediglich in Form von äußerst vagen ‘Ratschlägen’ zugestellt, so dass der Amtmann die ‘Etikette’ mehr oder weniger selbst bestimmte. Doch schon 1858, anlässlich des Besuchs Königs Georg V. von Hannover, wurde der Amtmann stärker in die Pflicht genommen, wie umfangreiche Schriftwechsel zwischen dem hiesigen Amtmann Kirchenpauer und dem Senat ausweisen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der König von Sachsen und danach der Kaiser Cuxhaven besuchen wollten, blieb für den Hamburger Verwalter des Amtes Ritzebüttel praktisch kein Spielraum mehr, er handelte nun auf Weisung von ‘oben’.